Steigt der Pflegebedarf, können Sie mehr Leistungen erhalten – wenn der Antrag gut vorbereitet ist.
Viele pflegebedürftige Menschen erleben im Alltag eine schleichende Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Angehörige übernehmen zunehmend mehr Aufgaben, die Selbstständigkeit nimmt ab, neue Erkrankungen oder Einschränkungen kommen hinzu. Doch häufig wird zu lange gewartet, bis ein höherer Pflegegrad beantragt wird – aus Unsicherheit oder Sorge vor Ablehnung.
In diesem Beitrag erfahren Sie:
- Wann sich ein Antrag auf Höherstufung lohnt
- Wie Sie sich gut vorbereiten
- Und warum eine fundierte Einschätzung durch eine Pflegefachkraft helfen kann – bei der Antragstellung, aber auch direkt im Gutachtertermin

Pflegegrad = Bewertung des Alltags
Die Pflegekasse vergibt Pflegegrade nicht nach Diagnosen, sondern nach einem strukturierten Punktesystem aus sechs Modulen:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Krankheits- und therapiebedingte Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Schon kleine Veränderungen in mehreren Bereichen können sich summieren. Deshalb ist eine realistische und modulbezogene Einschätzung so wichtig.
Wann lohnt sich ein Antrag auf Höherstufung?
Eine Höherstufung kann sinnvoll sein, wenn…
- sich der Hilfebedarf deutlich oder schleichend erhöht hat
- neue Einschränkungen bei Mobilität, Orientierung, Psyche oder Kommunikation auftreten
- Angehörige spürbar mehr Unterstützung leisten müssen – z. B. bei der Körperpflege, Ernährung, Medikamentengabe oder im Tagesablauf
- Unruhe, Ängste oder Verhaltensveränderungen den Alltag zusätzlich belasten
Nicht jede Veränderung führt direkt zu einem neuen Pflegegrad – aber oft gibt es ungenutztes Potenzial, das mit einer guten Begründung anerkannt werden kann.

Antrag stellen – und Entscheidung nach Aktenlage?
Sie können den Antrag formlos bei der Pflegekasse stellen – telefonisch oder schriftlich genügt. Die Pflegekasse beauftragt dann in der Regel den MDK mit einer persönlichen Begutachtung.
Aber: Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Antrag auch ohne Hausbesuch allein auf Basis der Unterlagen geprüft werden. Das nennt sich Entscheidung nach Aktenlage.
Das ist möglich, wenn:
- aussagekräftige Unterlagen vorliegen, die den gestiegenen Pflegebedarf klar belegen
- eine Verschlechterung eindeutig und umfassend dokumentiert ist
👉 Achtung: Häufig reichen ärztliche Berichte oder Klinikentlassungen nicht aus, da sie sich auf Diagnosen konzentrieren – nicht auf die konkreten Einschränkungen im Alltag.
Warum eine pflegefachliche Begründung helfen kann
Eine gut aufgebaute pflegefachliche Begründung zeigt:
- welche Einschränkungen bestehen,
- wie sich diese im Alltag konkret auswirken
- und in welchen Modulen eine höhere Bewertung als im alten Gutachten nachvollziehbar ist
Diese Art der Begründung sollte sich direkt an den Kriterien des Neuen Begutachtungsassesments (NBA) orientieren.
Eine pflegefachliche Begründung kann:
- bei einer Entscheidung nach Aktenlage die Grundlage für die Bewertung sein
- bei einem Hausbesuch dem Gutachter oder der Gutachterin direkt vorgelegt werden – zur besseren Orientierung
- die Prüfung transparenter machen und bei einem Widerspruch als Grundlage dienen
Wichtig: Eine pflegefachliche Begründung durch eine externe Stelle ist nicht vorgeschrieben.
Sie können Ihre Situation auch selbst schildern – etwa mit einem Pflegetagebuch oder einem formlosen selbst verfassten Schreiben.
Je klarer und strukturierter Ihre Darstellung ist, desto besser sind die Voraussetzungen für eine faire Einstufung.

Hinweis: Eine neue Begutachtung kann auch zur Herabstufung führen!
Bei jedem neuen Antrag wird die gesamte Pflegesituation neu geprüft – nicht nur die Verschlechterungen.
In manchen Fällen kann das dazu führen, dass ein bereits bestehender Pflegegrad auch wieder herabgestuft wird.
Deshalb ist eine pflegefachliche Einschätzung vorab nicht nur hilfreich, sondern auch eine Möglichkeit, die Entscheidung für oder gegen den Antrag bewusst und informiert zu treffen.
Was Sie selbst vorbereiten können – wenn Sie den Antrag eigenständig angehen
Ein Antrag auf Höherstufung wirkt auf den ersten Blick unkompliziert: Ein Anruf bei der Pflegekasse genügt, und das Begutachtungsverfahren wird eingeleitet.
Doch: Die tatsächliche Bewertung erfolgt ausschließlich auf Grundlage der Informationen, die im Verfahren verfügbar sind.
Wer sich hier gut vorbereitet, kann entscheidend dazu beitragen, dass die Situation realistisch und nachvollziehbar dargestellt wird.
Wenn Sie den Antrag ohne externe Unterstützung stellen möchten, empfehle ich Ihnen eine strukturierte Vorgehensweise:
1. Führen Sie ein detailliertes Pflegetagebuch
Dokumentieren Sie mindestens 7–14 Tage lang alle pflegerelevanten Tätigkeiten – möglichst mit
- konkreten Uhrzeiten
- Dauer
- Art der Unterstützung
- besonderen Auffälligkeiten
Das ist aufwendig – aber wichtig:
Viele Hilfsleistungen sind nicht offensichtlich sichtbar, sondern bestehen z. B. im Zureden, Erinnern, Absichern oder Bereitstellen. Diese „unsichtbare Pflege“ wird oft unterschätzt – insbesondere bei psychischen oder kognitiven Einschränkungen.
2. Beschreiben Sie typische Alltagssituationen mit Einschränkungen
Stellen Sie dar, was nicht mehr selbstständig gelingt – zum Beispiel:
- Schwierigkeiten beim Duschen, Toilettengang, Essen, Anziehen
- Orientierungsschwierigkeiten oder nächtliches Umherirren
- depressive Phasen, Ängste, Verweigerung von Hilfe
- Abhängigkeit bei Medikamenteneinnahme oder beim Arztbesuch
Idealerweise orientieren Sie sich an den Modulen des Begutachtungsinstruments (NBA) – online finden Sie dazu hilfreiche Übersichten.
3. Erfassen Sie Hilfsmittel & den konkreten Unterstützungsbedarf
Auch eingesetzte Hilfsmittel zeigen, wie stark der Pflegebedarf bereits ist:
- Rollator, Toilettenstuhl, Pflegebett
- Lagerungshilfen, Inkontinenzprodukte
- Ess- und Trinkhilfen.
Schreiben Sie auf, wofür diese genutzt werden – und ob sie von Ihnen selbst oder vom Arzt verordnet wurden
4. Halten Sie neue Einschränkungen schriftlich fest
Fällt es schwerer, Aufgaben zu planen oder Gespräche zu führen? Gibt es mehr Unruhe, Rückzug oder Schlafstörungen?
Solche Entwicklungen lassen sich schlecht messen – sind aber für die Pflegegradbewertung relevant. Notieren Sie, wie sich die letzten Wochen und Monate entwickelt haben.
5. Sammeln Sie alle relevanten medizinischen Unterlagen
Dazu gehören:
- ärztliche Diagnosen
- Krankenhausberichte
- Reha-Entlassungen
- Medikationspläne
- Verordnungen von Pflegehilfsmitteln oder Therapien
Auch wenn diese allein keine Höherstufung „begründen“, liefern sie wichtige Hintergrundinformationen – besonders bei Demenz, neurologischen Erkrankungen oder Multimorbidität.
Warum sich dieser Aufwand lohnt
Die Pflegekasse und der MDK bewerten, was im Alltag tatsächlich nötig ist – nicht, was theoretisch möglich wäre.
Je besser Sie Ihren Alltag dokumentieren, desto besser wird Ihre Situation verstanden.
Viele Anträge scheitern nicht, weil der Pflegebedarf nicht vorhanden ist – sondern, weil er nicht greifbar oder nachvollziehbar dargestellt wurde. Eine strukturierte Vorbereitung ist deshalb keine Formalität, sondern eine aktive Mitgestaltung des Verfahrens.
Wenn Sie dabei Unterstützung wünschen, begleite ich Sie gern – z. B. mit einer Einschätzung nach Begutachtungsmodulen oder einer fachlichen Stellungnahme.
Aber auch wenn Sie den Antrag eigenständig stellen: Mit guter Vorbereitung haben Sie deutlich bessere Chancen.
Kommentar hinzufügen
Kommentare